Aktive Imagination in der Sitzung

Aktive Imagination in der Sitzung

Einige Kriterien der therapeutischen Begleitung

Studi Junghiani, vol. 10, n. 2, 2004

Annemarie Kroke

Über die Jahre hat die aktive Imagination in den analytischen Prozessen, die ich begleite, einen zunehmend größeren Raum eingenommen. Der Analysand macht die Erfahrung der aktiven  Imagination in der Sitzung. Es ist  meines Wissens relativ wenig verbreitet, die aktive Imagination während der Analyse in den Sitzungen einzusetzen. Dies mag auch historisch begründet sein, da C.G. Jung die eigene Erfahrung damit in einem schwierigen psychischen Zustand erlebte und damit vielleicht der Zugang zur aktiven Imagination beschattet wurde. Jung erkannte die Bedeutung der aktiven Imagination, die durch die relativ direkte und interaktive Auseinandersetzung mit dem Unbewußten, in besonderer Weise Entwicklung und Individuationsschritte fördert. Deshalb empfahl er, sie nach dem Abschluss der Analyse  zu entwickeln.

 

Meiner Einschätzung nach ermöglicht die aktive Imagination in den Sitzungen, das heißt in Gegenwart des Analytikers, dem Imaginierenden in eine besondere Nähe zum eigenen unbekannten Unbewußten zu treten und die Dynamik des Prozesses zu steuern, -Aspekte, die wiederum das analytische Verständnis bereichern. Der Analytiker gibt dem Prozess des Imaginierenden den vielleicht größtmöglichen Raum zur Entfaltung. Dem persönlichen und kollektiven Unbewußten steht der Raum zur Verfügung, sich in den Imaginationsbilder in einem sich sinnlich gestaltenden Prozess darzustellen.

Ich erlebe es so, dass die aktive Imagination in den Sitzungen den therapeutischen Prozess intensiviert. Dabei ist es nicht nur die Befreiung aus dem „Gefängnis des Unendlichen“, wie es eine Imaginierende nannte. Es ist nicht nur die Möglichkeit sich mit „Umgrenztem und Fassbaren“ in Beziehung zu bringen, sondern der Individuationsprozess wird unterstützt durch den Sinn gebenden Prozess des Imaginationsgeschehens.  Der Imaginierende macht  die Erfahrung, dass  Veränderungsschritte im Imaginationsprozess möglich sind und über diese Erfahrungen kann er Vertrauen in die innere Führung des Unbewußten aufbauen. Dies erleichtert ihm nach Abschluss der Analyse den Zugang, die aktive Imagination ohne Begleitung zu entfalten. Für mich ist deshalb eines der Kriterien für die Beendigung der Analyse, ob die Fähigkeit besteht, die aktive Imagination eigenständig auszuführen, ohne an den Hemmungen zu scheitern. Darin teile ich Jungs Haltung.

 

Doch- nicht nur für den Imaginierenden, sondern auch für den Analytiker, ist die aktive Imagination in der Haltung des Wahrnehmens und Erkennens ein Erfahrungsprozess, der sich  vom relativen Nicht-Wissen zum partiellen Wissen erstreckt.

 

Dem Imaginierenden wird über die Erfahrung des dynamischen Imaginationsprozesses zunehmende Selbsterkenntnis ermöglicht, cognitio sui ipsius, wie es Jung in dem Prozess der Gegensatzvereinigung von Bewusstsein und Unbewusstem betont. Für den Analytiker, der die aktive Imagination begleitet, bietet wiederum die Art und Weise der interaktiven Dynamik des Prozesses die Möglichkeit, die derzeitige psychische Situation  des Imaginierenden zu verstehen. Es ist ein analytisches Verständnis, welches dem sich entfaltenden Prozess folgt und daher nicht den Anspruch auf festlegende  Gültigkeit erhebt. Das Verständnis für den Imaginierenden dadurch zu gewinnen, ihn im Verlauf des Prozesses der direkten Auseinandersetzung mit seinem Unbewussten zu begleiten, ist eines der Aspekte, derentwegen ich befürworte, die aktive Imagination zunächst vorrangig in den Sitzungen entstehen zu lassen.

 

Ein weiteres Motiv, das meiner Erfahrung nach dafür spricht, die aktive Imagination in den Sitzungen zu entwickeln: der begleitende  Analytiker kann das Vertrauen in den Dialog mit dem Unbewussten unterstützen. Es  ist ein Dialog mit sich selbst in der eigenen inneren Erlebniswelt, ein Sich-aufeinander-Beziehen. Und darin drückt sich  die Qualität der aktiven Imagination aus: der Dialog des Bewusstseins mit dem unbewussten Bildgeschehen und dies heißt: es ist ein Beziehungsvorgang. Der Imaginierende kann eine wichtige Beziehungserfahrung in dem interaktiven Imaginationsprozess machen. In den Momenten, in denen die Fähigkeit des Imaginierenden nachlässt, die dialogische Auseinandersetzung aufrecht zu erhalten, hat der Analytiker  die Möglichkeit, diese jeweils zu stimulieren und damit den Eros anzusprechen. Damit erlebt der Imaginierende, dass er eine Beziehungsform verändern kann, was das Vertrauen fördert, den  inneren Dialog aufrecht zu erhalten.

Dieses Vertrauen ist bei Menschen brüchig, die geringe Beziehungserfahrungen hatten, sei es in der Ansprache oder in denen sie selbst etwas aktiv bei dem  Anderen bewirken konnten. Deshalb tendieren sie, wenn die aktive Imagination nicht in den Sitzungen stattfindet, die Imagination als eine Art „Versteck“ vor der Außenwelt zu nutzen. Ein „Versteck“,  welches als innerer Schutzraum fungiert. So könnte die Imagination  zur Wunsch erfüllenden Phantasiewelt werden, da der Imaginierende nicht darauf vertraut, im Dialog mit seinem Gegenüber etwas verändern zu können.  Besonders in der aktiven Imagination ist es jedoch möglich, eine dynamisch-regulierende und Entwicklung fördernde Beziehungserfahrung zu machen, in der etwas Neues entsteht. Während des Prozesses kann der Analytiker durch stimulierende Interventionen, die  die interessierte Wahrnehmung verstärken für die Eigenheiten seines Gegenübers, die Beziehungsfähigkeit  unterstützen. Damit wird vielleicht der heute zunehmenden Verhaltenstendenz des „Machbaren“ entgegengewirkt. Ein Verhalten, welches in scheinbarer Autonomie, Eindruck und Einfluss auf die Umwelt nehmen will, und die Beziehung statt zu bereichern verkümmern lässt. Wie wir wissen, entspricht ja die Beziehungsfähigkeit zum unbewußten Bildgeschehen der Beziehungsfähigkeit in der äußeren Realität.

 

 

Im Folgenden möchte ich aus meiner praktischen Erfahrung mitteilen, wie sich die aktive Imagination innerhalb der Sitzungen gestaltet. Dabei werde ich versuchen, Schritt für Schritt vorzugehen, dem prozesshaft -aufdeckenden Charakter der aktiven Imagination entsprechend. Im weiteren Verlauf gehe ich dann auf einige Kriterien der therapeutischen Begleitung ein, die mir für die aktive Imagination spezifisch scheinen.

 

 

Aus der praktischen Erfahrung

 

Wann ich dem Analysanden eine aktive Imagination anbiete ist sehr unterschiedlich. Es gibt viele Analysanden, die in einer Doppelsitzung regelmäßig eine Sitzung zur Fortführung ihrer aktiven Imaginationsgeschichte nutzen. Häufig biete ich die aktive Imagination zur Fortführung eines Traumes an. Oder, ich greife eine metaphorische Äußerung dafür auf. Werden physische Symptome vordergründig, sind auch diese ein möglicher Einstieg, wie auch eine motorische unbewusste Geste, die dem gleichzeitigen verbalen Ausdruck widerspricht. Es sind Situationen, in denen ich ein Andrängen des Unbewußten  empfinde.

 

Viele  Kollegen fragen mich zuerst:

„Wie läuft denn das ab?“ „Wie beginnt man eine aktive Imagination?“ „Geben Sie ein Bild vor,…versetzen Sie den Imaginierenden in einen Entspannungszustand?“

Meine Antwort lautet dann „Es ist nicht nötig, dass ich ein Bild vorgebe, denn die Zuwendung zum Unbewussten kann immer ein Bild entstehen lassen. Ich gehe davon aus, dass sich ohne Vorgabe, die aktuelle psychische Situation im Bild symbolisch darstellt. Ja sogar, dass das Unbewusste besser als ich weiß, welcher Veränderungsschritt dem Imaginierenden im Moment möglich ist und wie er ihn erlangen kann.“

Dabei werden die Bewusstseinskräfte, meiner Erfahrung nach, in der aktiven Imagination nicht überfordert. Andererseits ist die aktive Imagination in psychisch sehr labilen Zuständen nicht möglich, da die Auseinandersetzung mit den Bildern des Unbewußten nicht aufrecht gehalten werden kann.

 

Um während der Sitzung in eine aktive Imagination zum ersten Mal einzuführen, bitte ich den Imaginierenden, seine ihm angemessene körperliche Position herauszufinden. Er wird die Position einnehmen, die ihm jetzt entspricht, ob liegend oder sitzend, mit offenen oder geschlossenen Augen. Dann bitte ich den Imaginierenden möglichst die Aussenstimoli auszublenden und vor dem „inneren“ Auge sein Bild entstehen zu lassen. Ich setze bewusst keine Entspannungseinführung oder hypnoide Trancezustände ein, denn ich weiß nicht, ob der Imaginierende nicht im Gegenteil sehr aufmerksam und alert sein muss. Und sollte die Entspannung für die Bewusstseinshaltung nötig sein, so wird sie durch das auftauchende Imaginationsbild eingeleitet werden. (In einem meiner späteren Beispiele zeigt sich dies.)

So gebe ich kein Bild vor, wie es im katathymen Bilderleben von H.Leuner üblich ist. Ich weise den Imaginierenden darauf hin, er möge nichts, was auftaucht, kritisch bewerten oder korrigieren, hingegen sich mit Aufmerksamkeit dem zuwenden, was auch immer kommt. Er möge sich offen halten, „essere in anima“, um dem Unbewussten die Wirklichkeit, den Sinn zu geben.

Nach einer Phase der Ruhe bitte ich ihn, mir zu beschreiben, wie sich sein Bild formt. Bei der schrittweisen Bildgestaltung wird durch die verbale Kodierung die Fähigkeit gefördert, Diffuses in eine klare Form zu bringen. Das sich gestaltende Bild gewinnt progressiv an Farbigkeit und  klaren abgegrenzten Formen. Es beginnt sich zum dreidimensionalen Raum zu strukturieren.

Über die Farbigkeit erlangt das Bild einen differenzierten  emotionalen Ausdruck. Die räumliche Qualität des Bildes schafft den „Seelenraum“, in dem Bewegung möglich wird. Das Bild vor dem „inneren Auge“ hat somit Charakteristiken,  die wir in der äußeren Realität wahrnehmen, ja, aufgrund derer, wir die äußere Realität für wahr nehmen.

Im nächsten Schritt ist es wichtig, dass sich der Imaginierende mit seinem Körper und allem, was ihn ausmacht, in der inneren Realität befindet. So gilt es mit seinem Körper in den Imaginationsbildraum einzutreten und sich selbst darin wahrzunehmen. In der ersten Imagination kann dies durch Fragen des Analytikers erleichtert werden. Es sind Fragen, die auf die kinästhetische Wahrnehmung (Position/ Motorik ecc.) und die räumliche Wahrnehmung zielen. Dies kann z.B. eine Frage nach dem Abstand zu seinem Gegenüber sein.

Da der Imaginierende sich mit seinem Körper in der inneren Realität als gegenwärtig erlebt, wird er mit ihr so umgehen, wie er es mit der äußeren Realität gewöhnlich tut. Durch die Verbindung der physischen Körperwelt und dem symbolischen Bildgeschehen gewinnt die aktive Imagination für den Imaginierenden an Wirklichkeit. Damit wird sie erlebbar. Die Basis für einen Erfahrungsprozess ist gegeben. Denn die Voraussetzung für die Bewusstwerdung liegt in der progressiven Integration von „Geist-Seele-Körper“.

Ist der Imaginierende körperlich anwesend und mit seinen Bewusstseinsfähigkeiten gegenwärtig, so kann er nun mit seinem Ich in die Beziehung zu dem unbewussten Bildgeschehen treten. Auch hier ist es die Beziehung, durch die erst eine Bewusstseinsveränderung möglich wird, wie wir sie als therapeutische Basis der Analyse ansehen.

In dem Imaginationsbildraum ist nun das Bewusstsein des Imaginierenden mit seiner körperlichen Selbstwahrnehmung seiner  inneren unbewussten Realität gegenübergestellt. Damit kommt  seine aktuelle psychische Situation zum Ausdruck.

Durch die Gegenüberstellung im Bildraum ist aber auch ein Reflexionsabstand ermöglicht und damit die Bedingung für eine Auseinandersetzung gegeben.

Progressiv kann sich nun eine Beziehung entwickeln, die zur Transformation durch Annäherung der unbewussten Aspekte führt. Die unbewußten Aspekte sind in der aktiven Imagination personifiziert dargestellt und durch den Kontext zusätzlich charakterisiert. Durch ihre Pluralität und ihre komplexen Beziehungen untereinander und ihre Beziehungen zum Bewusstsein drücken sie ihre eigene Perspektive aus. Diese Vielzahl von „Augen“, diese unterschiedlichen Wirklichkeitsbezüge, ermöglichen dem Bewusstsein eine  Vielzahl möglicher Interpretationsansätze. Sie sind die Hilfsmittel für eine sich progressiv vervollständigende Selbsterkenntnis.

Da die unbewusste aktuelle psychische Situation im Imaginationsbild symbolisch repräsentiert ist, schafft sie eine Distanzierung. Durch die symbolische Repräsentation wird ein Art Freiraum vermittelt. So kann der Imaginierende es ertragen, mit sich selbst im Widerspruch zu stehen. Andererseits fühlt sich der Imaginierende durch die Symbolisierung aufgefordert, sich dem Bildgehalt anzunähern und den Widerspruch in der Gegenüberstellung in eine neue integrative Einheit zu führen. Dieser aktivierende und  fordernd -führende Aspekt ist unserem Symbolverständnis entsprechend. (Die Auszüge aus aktiven Imaginationen auf Seite …sind dafür beispielhaft.)

 

Kehren wir zurück zu der beginnenden aktiven Imagination in der Sitzung. Der Imaginierende begibt sich in den inneren Bildraum und beschreibt was ihn umgibt: die Atmosphäre der Szene, die Eigenschaften des Raumes, die Stimmung der Landschaft ecc. Damit vermittelt er, wie er den Ausdruck seines Gegenübers erlebt, teilt mit was er hört, was er riecht, was er selber tut.

Um die Vorstellung einer aktiven Imagination zu erleichtern, möchte ich ein Beispiel bringen:

Einem Mann von Ende 40 wurde vom Arzt  wegen seines Bluthochdrucks und innerer Unruhe eine analytische Behandlung angeraten. Da bei ihm die Symptomatik vorrangig somatischen Ausdruck fand, bot ich ihm in dem Erstgespräch eine aktive Imagination an. Diese erste aktive Imagination, die ich kurz wiedergeben werde, wurde zum Ausgangspunkt für eine fortlaufende Imaginationsgeschichte, zu der  er sich  selbst entschlossen hat. Dies wurde von mir unterstützt, da mir für ihn der Aufbau einer Kontinuität wichtig erschien, wie es aus dem Folgenden verständlich wird:

Zunächst sieht der Imaginierende einen Grabstein. Er erkennt ihn als den seines Vaters. Die Landschaft, die Atmosphäre, alles wirkt öde und nichts sagend. Damit ist die Aufmerksamkeit ganz auf den Grabstein konzentriert. Als der Imaginierende die Grabinschrift liest, entziffert er seinen eigenen Namen. Dies regt in ihm den Wunsch an, den Stein umzuwerfen. Doch er schiebt und hievt, aber der Stein bewegt sich nicht. Erst als der Imaginierende zu verzweifeln beginnt und seinen Ärger zulässt, kann er  dann ohne übermäßige Anstrengung den Stein anheben und weglegen.

Da der Imaginierende sich nicht nur über das Somatische ausdrückt, sondern über die Betroffenheit seine Wut zulässt, den Affekt erlebt, der vom Bild des eigenen Grabsteins ausgelöst wurde,  konnte er die Veränderung bewirken.

 

Dieses Beispiel könnte suggerieren,   dass es die vom Ich aktiv bewirkte Veränderung ist, die in dem Begriff der aktiven Imagination den aktiven Anteil ausmacht. Doch der aktive Anteil des Begriffs ist meiner Einschätzung nach weiter zu fassen. Denn schon das Geschehenlassen, dass sich ein Bild aus dem Unbewußten vor dem „inneren Auge“ bilden kann, – diese rezeptive Zuwendung-, scheint mir ein aktiver Aspekt der aktiven Imagination zu sein. Durch das Geschehenlassen, dass sich ein mit den Sinnen erfahrbares Bild formt, erlangt das Bild einen Sinn.

Aus der rezeptiven Zuwendung entwickelt sich die distanzierte Gegenüberstellung zwischen dem ausgeformten Bild des Unbewussten und dem Ich. In dem Bild selbst sind es die klaren abgegrenzten Formen, die das Prisma der Gegensätzlichkeit ergeben und damit die Unterscheidung ermöglichen. Die  Elemente stellen sich zueinander in Beziehung.

Das Ich hat nun die Möglichkeit zu reflektieren und darüber sein Gegenüber zu erkennen. Doch dies ist nur wirklich möglich, wenn das Bild in ihm Emotionen auslöst und die aktive Imagination zu einer Erfahrung von „Geist-Seele-Körper“ wird.

Ein Zitat von Jung (G.W. 13, §482) dazu :“Es ist mir bewusst,…dass ein bloß intellektuelles Verstehen hier nicht ausreicht. Wir gewinnen damit nämlich nur gewisse Wertbegriffe, vermissen aber deren eigentlichen Gehalt, welcher in der lebendigen und eindrücklichen Erfahrung des Prozesses an uns selber besteht. Man wird gut daran tun, sich in dieser Hinsicht keinen Illusionen hinzugeben: man kann mit keinem Verstehen von Wörtern und keinem Anempfinden wirkliche Erfahrung ersetzen.“

 

Um wirkliche Erfahrungen zu machen, die den Integrationsprozess fördern, beginnt der Imaginierende nun sich mit seinem Gegenüber auseinander zu setzen. Er wird versuchen, Spannungen, Konflikte zu überwinden und scheinbar Unvereinbares, Entferntes und Entfremdetes anzunähern.

Das folgende Beispiel einer Studentin möge dies zeigen. Diese junge Frau bewegte sich in der Welt ohne verlässliche Bindungen, ohne tiefe Anbindungen, um nicht frühe Erfahrungen des Verlassenseins zu wiederholen. Diese aktive Imagination ist herausgenommen aus einer Imaginationsreihe, in welcher sie regressiv ihre Kindheit durchläuft, um sie progressiv zu integrieren.

 

Als 7 Jährige befindet sie sich im früheren Wohnzimmer. Sie bemerkt, dass es ungewöhnlich dunkel im Raum ist und wie still es ist, obwohl ihre Familienangehörigen alle anwesend sind.

Sie nimmt an, sich wirklich um diese zu bemühen, aber keiner nimmt Notiz von ihr. Sie stöhnt leise. Es schmerzt sie. Dann rafft sie sich auf und geht hin zur unbeweglich wirkenden Mutter. Sie kniet vor ihr nieder und schaut sie an. Sie schaut traurig in eine Schmerz-Maske ohne Augenschlitze. Nach einer Weile nimmt sie ihr diese vorsichtig ab. Dann nimmt sie zum ersten Mal die schönen, tiefen Augen ihrer Mutter wahr. Sie fühlt sich zum ersten Mal von diesen Augen der Mutter gesehen. Sie ist tief berührt und entspannt sich.

 

Aus dieser kurzen Darstellung scheinen mir ihre aktuelle psychische Situation und ihre Konfliktspannung verständlich. Aus dem dynamischen Prozessverlauf der aktiven Imagination ist deutlich erkennbar, welches die jeweils bedingenden Voraussetzungen für die Veränderungen waren. Und aus diesem Prozessverlauf kann die Imaginierende verstehen, wie sie diesen Veränderungsschritt erwirkt hat.

Diese Möglichkeit ist im Traum nicht gegeben. Auch darin unterscheidet sich die aktive Imagination vom Traum. Spricht der Analysand in der Sitzung von einem Traum, so ist es möglich diesen mit der aktiven Imagination aufzunehmen. Ich bitte ihn, den Traum so wiederzugeben, als sähe er die Bilder, als erlebe er den Traum jetzt noch einmal. Dass damit Variationen zum ursprünglichen Nachttraum eintreten, wissen wir. Scheint es für ihn sinnvoll, mit diesem Traum eine aktive Imagination zu beginnen, bitte ich, diesen noch einmal imaginativ durchzugehen und das intensivste Bild als Anfangsbild zu wählen. Bei abgebrochenen Träumen kann es eine Fortführung mit der aktiven Imagination sein.

Häufig aber sind es Angst- oder sogar Alpträume, die vor dem Abschluss erwachen lassen. Sollte man nicht versuchen, den Patienten von der Angstspannung zu befreien, ihm zu einer  Auflösung verhelfen?

Bei zu großer Angst könnte es schwierig sein, das szenische Bild in die prozesshafte Veränderung zu führen, denn aktive Imagination ist nicht allein das Imaginieren von Bildern, sondern das im Geschehen sichtbare Verändern. Meiner Meinung nach drückt die Angst ihren Schutz in der Fixierung und in der Kontrolle aus. Der Blick ist nach außen auf das Gegenüber fixiert. Dabei wird die Wahrnehmung des eigenen Daseins vernachlässigt. In der Imagination  lässt das Körperbewusstsein nach und das Bild erstarrt als Bedrohung. Ein Dialog, eine Auseinandersetzung, ist  bei zu großer Angst deshalb nur schwer möglich.

Nicht nur alptraumartige Anfangsbilder hemmen oder blockieren  die dialogische Auseinandersetzung im Imaginationsprozess. Ähnliches geschieht, wenn der Imaginierende zum Beispiel den Schrecken, den sein Gegenüber in ihm auslöst, mit „heroischem Überspielen“ abwehrt. Dieses forciert –„heroische“ Verhalten erschwert den Annäherungs- und Wandlungsprozess. Da die Emotionen, die das Bild auslösten, abgewehrt werden, wird der Prozess gehemmt, dies scheint mir von zentraler Bedeutung.

Das Bild ist ja selbst die Darstellung seines Gefühls zu der dargestellten Situation. Andererseits ist für den Imaginierenden das dazugehörige Gefühl nur durch das Bild erlebbar und erkennbar.

Die Bedeutung des Emotionalen in der aktiven Imagination wird auch über die Sprache vermittelt, mit der der Imaginierende das Bild beschreibt. Wie man aus Studien weiß, ist diese Sprache viel reicher als es sonst in der therapeutischen Praxis geschieht. Sie gewinnt an musikalischen Rhythmen und poetischen Momenten. Auch beim Analytiker tauchen Gefühle auf, wenn das Bild sprachlich so vermittelt wird.

Gefühle, besser E-motionen, das Wort drückt es aus, tragen das Bewegungsmoment in sich. Sie bringen Dynamik in das Imaginationsgeschehen, wie ich an einem Ausschnitt einer aktiven Imagination zeigen möchte:

Der Imaginierende befindet sich auf einer sonnendurchfluteten geschützten grünen Wiese. Dieses Bild lässt ihn Ruhe finden. Er spürt die Wärme und fühlt sich geborgen. Diese positiven Gefühle tendieren vertieft zu werden. Er legt sich in das weiche Gras, fühlt sich getragen, spürt seinen Körper wohlig entspannt und atmet tief im Austausch mit der Atmosphäre. Er lauscht der Stille.

(Der Imaginierende lässt die Atmosphäre des Bildes emotional auf sich wirken und es dieses Erleben, welches Bewegung in den Imaginationsverlauf bringt. Das Anfangsimaginationsbild bietet in diesem Beispiel dem Ich die offensichtlich notwendige psychophysische Entspannung an, die erst ermöglicht, dass er Neues  wahrnimmt.)

So taucht nun ein kleines Tier auf, welches mit feiner Stimme zu ihm spricht. Er nimmt den Kontakt auf. Er ist bereit, sich von ihm führen zu lassen, damit es ihm den Weg zu seiner so genannten „Aufgabe“ zeige.

 

Die „Aufgabe“ kann sich selbstverständlich nur individuell darstellen. Der Imaginierende wird seinem Gegenüber begegnen. Es kann andersartig oder gar befremdend wirken. Die Andersartigkeit verstärkt  die Gegenüberstellung. Wirkt es befremdend so kann das Gegenüber  zunächst Ablehnung und Widerwillen oder Angst im Imaginierenden hervorrufen. Es gilt, jedoch, diese Hemmungen zu überwinden und den Kontakt aufrecht zu erhalten und sich ihm in Bezogenheit anzunähern. Gelingt es, so drückt der Imaginierende damit seine  aktive Handlungsbereitschaft aus. Ist sein Verhalten aufrichtig und eindeutig so wird sich aus der konfrontativen Gegenüberstellung ein Dialog entwickeln. Ein Dialog, der ihn zur Lösung des aktuellen Konfliktes seiner „Aufgabe“ führt.

Eine solche Veränderung wird im Bild sichtbar. Das Imaginationsbeispiel einer 30 jährigen Frau scheint mir dies zu verdeutlichen.

Diese Frau sehnt sich nach einer Partnerbeziehung, doch bei zunehmender Annäherung bricht bei ihr immer wieder die Todessehnsucht hervor. Die Nähe löst das hohe selbstzerstörerische Potential in ihr aus. Dies steht in Verbindung mit ihrem starken Mutterkomplex. In der folgenden aktiven Imagination sucht sie sehnsüchtig ihre Mutter. Doch, umso näher sie zu ihr gelangt, umso mehr trübt sich das Bild ein bis in Dunkle, Undurchsichtige, welches sie mit Zerstörung und Tod gleichsetzt. So glaubt sie in der Imagination, ihre Mutter sei tot oder gar getötet. Dies drückt vermutlich aus, wie sie sie erlebt hat. Sie führt den Imaginationsprozess weiter, indem sie zunächst den ihr schon vertrauten unbewussten Annäherungsversuch an die Mutter nutzt: sie sucht die Nähe über die Identifikation zu finden und steigt selbst in selbstzerstörerischer Tendenz in das undurchsichtige Dunkel ein. Doch auch jetzt, wie vermutlich nie zuvor, findet sie nicht die ersehnte Nähe. Die Verzweiflung und Enttäuschung über das Scheitern ihrer Annäherungsversuche ist durch die vermutlich wiederholte Erfahrung groß und beginnt emotionale Reaktionen zu wecken. Die Imaginierende wird zunehmend unruhiger und erregter. Ihre „mörderische“ Wut wird spürbar. Das emotionale Potential, welches durch das Imaginationsbild in ihr angeregt wurde, drängt die Imaginierende zu einem Veränderungsschritt. Es vergeht eine Weile bis sie über die früh angelegte Wahrnehmungsfunktion des Tastens den Leichnam der Mutter erkennen kann. Und aus diesem Tasten entwickelt sich, indem sie ihre Todeswünsche angenommen hat, dann im weiteren Verlauf das Streicheln.

Der Konflikt der Imaginierenden zwischen Selbstzerstörung und Sehnsucht nach Nähe konnte sich in dem Ambivalenzgefühl gegen und für die Mutter lösen. Sie hat zunächst ihre „mörderische“ Wut erlebt, um sich dann für das warme Gefühl  zur Mutter zu öffnen. Die aktive Imagination:

 

die Imaginierende gelangt in ein kleines Gartenhäuschen und sucht dort ihre Mutter. Sie findet sie zunächst nicht. Dann steuert sie auf die Badewanne zu, in der so trübes Wasser ist, dass sie nichts erkennen kann. Sie sucht fast mit Gewissheit darin die Leiche der Mutter. Dafür steigt sie selbst ins dunkle Wasser. Sie bemerkt so aber nichts. Mit zunehmender Unruhe folgt sie dem Drang, die Mutter zu finden. Sie verlässt die Wanne und greift nun von außen in das Wasser, als sei sie überzeugt, die Mutter sei ermordet worden. Sie ist auf das Tasten konzentriert und so tastet sie dann den Kopf und den ganzen Körper ab. Flüchtig tauchen Gedanken auf, die Polizei zu rufen, aber sie verwirft dies fast lächelnd. Dann schlendert sie mit dieser Gewissheit nun durch das Häuschen. Als sie in den Garten tritt, sieht sie dort ein altes schwaches Mütterchen, dass sie anrührt. Sie wendet sich ihr liebevoll zu, streicht über ihre Hand und fragt sie, was sie braucht.

 

Wie es sich auch hier zeigt, kann die Imaginierende verschiedene Lösungswege „ausprobieren“ bis sie aus der Veränderung im Bild erkennt, dass der Prozess weitergeht.

 

Die Qualität und die Größe des jeweiligen Veränderungsschrittes variiert je nach den momentanen Bewusstseinskräften, die an dem Grad des Körperbewusstseins in der aktiven Imagination zu erkennen sind.

Es ist wichtig, die Bewusstseinskräfte während des Prozesses in dynamischem Gleichgewicht zum Unbewussten zu halten. Tendiert das Unbewusste zu inflationieren, ist dieses Gleichgewicht gefährdet. In der aktiven Imagination ist dann die Wahrnehmung des eigenen Körpers eingeschränkt. Der Analytiker wird  dann mit  Wahrnehmung stimulierenden Fragen auf deren Aktivierung zielen.

Ein Bild für eine drohende Inflation stellte sich als überdimensionierte Meereswelle dar, die sich der Imaginierenden näherte und diese aber passiv verharrte. Stimuliert durch einige Fragen nach ihrer Körperposition gelang es der Imaginierenden das Bewusstsein ihres Körpers zu intensivieren und sich damit langsam aus der Faszination der anrollenden Welle zu lösen. Sie nahm daraufhin eine sicherere Position ein und  hielt sich an einem Draht fest, der parallel zum Strand die Wellen brach und den sie zuvor nicht wahrgenommen hatte. Mit dieser aktiven Imagination konnte die akute Gefahr des Überschwemmtwerdens vom Unbewussten aufgehalten werden.

 

Versucht dagegen die Bewusstseinshaltung das eigene Unbewusste zu distanzieren, so hemmt auch dies den Wandlungsprozess. Dies zeigt sich indem der Imaginierende das Bildgeschehen mit Abstand beschreibt. Er beobachtet den eigenen Körper von außen wie er sich im Imaginationsbild verhält. Während ich ihm zuhöre fällt mir dann z.B. sein ungewöhnlich mutiges und zügiges Handeln auf, da er ja nicht wirklich erlebt was geschieht, die körperliche Erfahrung fehlt. Mein Hinweis in seinen Körper zurückzugehen verlangsamt dann meist das Geschehen und ermöglicht einen Veränderungsschritt.

Die Abwehr des Unbewussten zeigt sich noch verstärkt in der „aufgeblähten“ Bewusstseinshaltung. Sie lässt das Bild erstarren. Der dynamische Dialog mit dem eigenen Unbewußten ist blockiert. Das unreflektierte Subjekt scheint in seinem Subjektivismus gefangen, als könne es sich nicht mit seinem Bild in Beziehung bringen. Dann gilt es von therapeutischer  Seite diese Bezogenheit anzuregen, nämlich in kleinen, manchmal kleinsten Schritten die Sinneswahrnehmung auf einzelne Details des Gegenübers zu richten. Nicht ohne Mühe baut sich so aus den Details, die wie Bausteine fungieren, das Bild auf.

 

In tiefen, Bewusstsein verändernden Imaginationsprozessen kann sich die Wandlung auch in der Transformation des eigenen Körpers symbolisch darstellen. Die Auflösung des organischen Körpers kann soweit fortschreiten, dass nurmehr ein kleines Zentrum erhalten bleibt. Dieses Zentrum bewahrt die Fähigkeit mit den Sinnen aufmerksam und bewusst den Vorgang zu erleben bis sich im Prozess ein neuer Leib da herum gestalten kann. Der Wandlungsschritt ist vollzogen und diese aktive Imagination ist zu einer Gestalt abgerundet.

 

Manchmal ist es nur ein kleiner Veränderungsschritt, der vollzogen wurde. Hat die Imagination eine geschlossene Form, eine Gestalt gebildet, so ist dies dann das Zeichen, dass die „Aufgabe“ dieser aktiven Imagination gelöst wurde. Der Imaginierende entwickelt häufig selbst ein gutes Gefühl dafür, dass die Spannung der Auseinandersetzung abflaut.  Auch in der Bildszene zeigt sich, dass etwas ausklingt. So breitet sich bei der Einen eine tiefere weite Ebene ruhig vor ihr aus. Bei dem Anderen, der sich häufiger auf der Bühne befindet, fällt der Vorhang.

Doch es gibt auch Situationen, in denen eine solche Veränderung und Gestaltbildung nicht erkennbar wird. Vermutlich hat sich bei dem Imaginierenden erneut die Hemmung aktiviert, Gewohntes gehen zu lassen und Neues zu erwarten. So tendiert er vorzeitig abzuschließen. Eine noch inkomplette  Gestalt hat jedoch, wie wir wissen, die Eigenschaft unsere Aufmerksamkeit herauszufordern. Sie fordert dann die Fortsetzung der aktiven Imagination bis zu einer abgerundeten Form, – und fördert damit den Individuationsprozess.

 

Nach Abschluss der aktiven Imagination bitte ich die Imaginierenden, diese so detailliert als möglich aufzuschreiben und mir davon eine Kopie zu bringen. Der Verlauf des Imaginationsgeschehens wird so noch einmal ins Bewusstsein zurückgerufen.  Mit dem Niederschreiben wird er auf der Ebene der begrifflichen Form erfasst. Einige Imaginierende entwickeln dabei  die Imagination weiter.  Manche malen die symbolhaften Bilder.

Für mich ist daraus zu erkennen, ob alles in der Erinnerung bewusst geblieben ist, oder vielleicht wichtige Schritte ausgelassen wurden. Meiner Erfahrung nach werden sich diese variiert in späteren Imaginationen erneut präsentieren.

 

Damit habe ich die Fortführung des Imaginationsprozesses  angesprochen. Die Imaginierenden rufen dafür in der nächsten Sitzung das letzte Abschlussbild zurück, um damit die nächste aktive Imagination zu beginnen. Variationen sind verständlich, da  der innere Prozess weitergegangen ist.

Für einige Imaginierende ist die progressive Kontinuität der aktiven Imaginationen sinnvoll, wie ich es im Beispiel des Mannes vor seinem eigenen Grabstein andeutete. Der Ablauf des Geschehens ist logisch nachvollziehbar, d.h. durch die einzelnen Imaginationen, wie durch eine Imaginationsserie, führt ein roter Faden, der das Verständnis erleichtert. Dadurch kann der Imaginierende im Nachhinein erkennen, was er verändern konnte. So kann er ebenso erkennen, wie er die Veränderungen bewirkt hat. Ausgehend von einer unbezogeneren und emotionsärmeren Konfrontation hat er im Prozess seine derzeitigen Fähigkeiten erprobt und entwickelt. Da die Veränderung im Imaginationsbild sichtbar wird, ist das für die Situation angemessene Verhalten durch Belohnung verstärkt. Belohnt wird er, die Hemmungen zu überwinden, aus denen sich zusätzliche Kräfte entfalten. Diese Erfahrung ist prägend und dauert meist an. Langsam kann der Imaginierende so das Vertrauen aufbauen, das eigene Verhalten zu reflektieren, um es steuern zu können. Dieses Vertrauen kann ihn die eigenen Grenzen  überschreiten lassen.

 

In diesem Zusammenhang scheint mir die bedeutendste Erfahrung des Imaginierenden, in seinem eigenen Inneren eine Persönlichkeit bildende Kraft zu spüren, die den schöpferischen Prozess ermöglicht. Nimmt der Imaginierende das symbolische Bild des Unbewussten an, so wird er  mit der Zeit Tiefgehendes erfahren: Er kann seiner inneren Führung vertrauen, die ihm den Individuationsprozess möglich macht.

Die Selbstführung des Unbewussten möchte ich jedoch nicht überdeterminiert wissen, so als sei das Leben schon gelebt. Erst über die Auseinandersetzung mit den Bildern des Unbewussten wird es ja möglich, den Reflektionsabstand zu gewinnen, wird es progressiv möglich, Abgewehrtes zu integrieren, um unser Leben wirklich zu er-leben.

 

 

 

Einige Aspekte der therapeutischen Begleitung  der aktiven Imagination

 

 

Begleite ich eine aktive Imagination, so versuche ich bereit zu sein für das „Containment“ und als „Container“ zu fungieren. In der Begleitung des Imaginationsprozesses nehme ich die „symbolische Einstellung“ ein, wie sie Jung für die Auseinandersetzung mit dem Unbewußten definierte.

 

Als „Containment“ bewirkt der psychische Raum, den der Analytiker anbietet, dass der Imaginierende in dem Vertrauen unterstützt wird, seinen eigenen inneren Raum zu öffnen, in dem sich das Imaginationsbild entfalten darf.

Als „Container“ stellt der Analytiker einen Raum bereit, in dem die Gegensatzspannung zwischen Bewusstsein und Unbewusstem gehalten wird.

Wesentlich ist es auch, dass die therapeutische Haltung den intersubjektiven  Raum umfasst, in dem sich der Imaginierende mit seiner aktiven Imagination und der Analytiker gemeinsam befinden.

Er ist  wie eine Mutter, die der dyadischen Beziehung in ihrer  Psyche einen Platz anbietet und gleichzeitig unaufdringlich da ist, während das Kind „spielt“. Es kann  die Mutter entweder als präsent ansprechen oder als abwesend phantasieren. So wird dieser Raum als real mit räumlich-zeitlichen Begrenzungen und  auch als illusionär empfunden, d.h. ein Raum für die Ausgestaltung des Potenziellen.   Damit ist die Möglichkeit für  intensives Erleben gegeben. Denn es geht  doch während des Imaginationsprozesses zunächst nicht um das intellektuelle Verstehen, sondern um „Verstehen durch Erleben“ wie es Jung ausdrückte.

 

Um so zu erleben, ist es wichtig, dass der Imaginierende sich wie in der Alltagsrealität lebendig fühlt. Er sich körperlich, physisch, stofflich in dem Raum ausbreiten kann. Über die Erfahrung seines lebendigen Körpers im Imaginationsprozess erkennt er seine Bewegungen, sein Tempo, seinen Rhythmus und  seine unterschiedlichen Wahrnehmungsfähigkeiten der einzelnen Sinne. Die Bereitschaft des Imaginierenden zum interaktiven Dialog mit seiner inneren Realität wird über diese Erfahrung verstärkt, denn der Imaginierende hat erkannt, welche Bewusstseinskräfte und körperlichen Bedingungen ihm zur Verfügung stehen. Die Erlebnisrealität, die daraus resultiert, korrespondiert mit der Lebendigkeit des Symbols.

Und es ist diese Lebendigkeit des Symbols – die die Qualität eines echten Symbols ausmacht -, die ihrerseits wiederum aktivierende Kraft mit sich bringt. Das Symbol zeigt sich als prozessaktivierende  und transformative Aktivität der Psyche. Über den numinosen Aspekt gewinnt es an Führungsmöglichkeit.

 

Auch auf mich geht ein Gefühl der Lebendigkeit über.

Als begleitende Analytikerin versuche ich mich für das Unbekannte des Imaginierenden zum öffnen, indem ich mich in absorptiver Aufmerksamkeit und emotionaler Teilnahme für die unbewusste Kommunikation bereit halte. Ich versuche mich, mit Unvoreingenommenheit und „Nicht-Wissen“ dem Imaginierenden zuzuwenden. Auf diese Weise erleben wir Beide, die kreative Spannung eines gemeinsam zu entdeckenden Wissens.

Wir sind bereit für das Unbekannte, welches das Selbst des Imaginierenden als Autor der Gestaltung des Unbewussten nun aktuell anbieten wird.

 

Das Imaginationsgeschehen wird auf dieser Ebene sowohl vom Imaginierenden als auch von Analytiker als Realität, als Tatsächlichkeit, erlebt. Die Gestaltungen des Unbewussten werden somit nicht interpretativ als  unbewusste Projektionen erlebt, sondern ähnlich wie es auf in früheren  Entwicklungsstufen des Bewusstseins geschah: Visionen werden konkretistisch im Außen  wahrgenommen. Dadurch fühlt sich der Imaginierende aufgefordert, sich damit auseinander zu setzen. Er wird aufgrund seiner Erfahrungen den Prozess auf seine Weise gestalten. Sein Verhalten in der inneren Realität ist identisch mit seinem Umgang mit der äußeren  Realität in ähnlichen Situationen.

Da sich die Kriterien der äußeren und inneren Realität entsprechen ist für uns   im Imaginationsgeschehen der logische Ablauf nachvollziehbar. Schritt für Schritt wird der Prozess lesbar. Die Hemmungen, die auftauchen,  zeigen sich detailliert in ihrer Charakteristik und in ihrer Dynamik und in der Art und Weise, wie sie überwunden werden können.  Die progressive Differenzierung aus einem Komplex-Konglomerat ist nachvollziehbar.

 

In der Begleitung nimmt der Analytiker gleichzeitig die Haltung der „symbolischen Einstellung“ ein. Dadurch wird dem dyadischen Prozess zwischen dem Ich und dem Phänomenologischen ein Drittes, ein Sinn beigemessen. Mit der „symbolischen Einstellung“ nimmt der Analytiker eine Art Triangulierung vor, so erhält das Imaginationsgeschehen seinen besonderen Wert. Dies ermöglicht mit dem Imaginierenden nach seiner aktiven Imagination das Symbol als Sinn „benennen“ zu können. Es ermöglicht ihm, ein Gespür dafür zu entwickeln, wie das Symbol ihn auf seinem Weg weiterführen kann.

Die sinngebende Triangulierung kennen wir als dynamische Kraft innerhalb der analytischen Situation. So ist es auch in der aktiven Imagination, da in dem intrapsychischen und intersubjektiven Spannungsfeld des symbolischen Raumes die transzendente Funktion entstehen kann.

Jung spricht von der transzendenten Funktion als natürlichem Prozess, die  aus der Gegensatzspannung zwischen Unbewusstem und Bewusstsein erwächst. Im Imaginationsprozess sehe ich meine Aufgabe darin, die Entfaltung der transzendenten Funktion, die Fähigkeit zu symbolisieren,  zu ermöglichen. Dazu trägt fundamental die symbolische Einstellung bei. Aber es gilt auch die eventuellen Störungen der Funktionsfähigkeit der transzendenten Funktion, innerhalb des Imaginationsgeschehens zu erkennen und  überwinden zu lassen.

Diese Fähigkeit und ihre eventuellen Störungen zeigen  sich deutlich in der Art, wie sich das Ich des Imaginierenden in der Gegenüberstellung zur inneren Realität verhält. In dieser Gegenüberstellung geht es darum, den notwendigerweise instabilen Kräfteausgleich der beiden Seiten flexibel und dynamisch zu halten. Nur so kann sich aus der spannungsgeladenen Distanz ein Aufeinander-Bezogensein entwickeln.  Dadurch wird  die Annäherung der unbewussten Realität möglich.

 

In der Praxis gestaltet sich meine Begleitung wie folgt:

 

In der preimaginativen Phase, d.h. der Moment, in dem sich der Imaginierende der Entstehung und Wahrnehmung eines Imaginationsbildes vor seinem „inneren Auge“ zuwendet, versuche ich über die unbewusste Kommunikation den Kontakt zu finden. Häufig erlebe ich physisch eine Veränderung in meinem Körpergefühl, oft fühle ich mich spontan emotional berührt, ohne diese Gefühle einordnen zu können. In dieser preimaginativen Phase versuche ich mir selbst ein Bild kommen zu lassen. Das von mir imaginierte Bild hat einen bildhaften Ausdruck, der die unbewusste Situation des Imaginierenden reflektiert.

Meist entsteht bei mir ein schwarz-weiß  Bild, das den bevorstehenden Prozess synthetisch zu kristallisieren scheint.  Mein Bild kommen zu lassen, hilft mir, den inneren Raum zu öffnen, aber auch im Nachhinein überprüfen zu können, inwieweit ich die unbewusste Kommunikation aufnehmen konnte und ob mein Bild von Kontrotransferalem oder rein Subjektivem überdeckt war.

 

Es geschieht aber auch, dass mir der Imaginierende nicht den Raum lässt, dieses Bild zu entfalten, weil er die preimaginative Phase überspringt und sofort mit einem Bild beginnt. Dieses bedrängende Beziehungsverhalten zeigt sich dann meist auch im Imaginationsgeschehen. Auch in den intrapersonalen Bezügen verhält sich der Imaginierende ähnlich. Dies ist für mich ein diagnostisches  Kriterium, welches meine Aufmerksamkeit lenkt.

Ich möchte ein Beispiel bringen:

Die Patientin strahlt mich zur Begrüßung kurz an, rennt dann in das Praxiszimmer und nach wenigen Sätzen „wirft“ sie sich ausgestreckt auf das Sofa. Diese Patientin hat in den letzten Jahren schwere plötzliche Verluste ihrer engsten Bezugspersonen erlebt.

Sie beginnt sofort ihr Imaginationsbild zu beschreiben, als müsse sie den Fluss der Bilder aufhalten und ihn mit dem Fluss ihrer Worte bannen. So groß  scheint ihr Druck, dass sie mir keine Zeit und keinen Raum lässt, mir ein eigenes Bild kommen zu lassen. Der Druck, den ich spüre, wirkt wie der Drang wahrgenommen zu werden, als fürchte sie, nicht angehört zu werden, dem angebotenen Raum nicht vertrauen zu können. Als fürchte sie, erneut dem Vakuum durch den Tod eines Nächsten ausgesetzt zu sein.

In dem Anfangsbild ihrer ersten Imagination fühlt sie sich zunächst verloren in der Unendlichkeit der Wüste. In den weiteren Imaginationen müht sie sich immer wieder ein angemessenes Haus für sich zu finden. Es zeigt sich ihre Sehnsucht nach umfassenden Mauern, innerhalb derer sie zur Ruhe kommen und sich vertrauensvoll fallen lassen könnte. Doch es siegt die Angst, sich in einem umschützenden Haus vergessen und wiederum verlassen zu fühlen. Diese treibt sie an, weiter zu ziehen. Begegnet sie Menschen, so bleiben die Kontakte nur kurz und flüchtig.

Dieses intrapsychische Beziehungsverhalten drückt sich auch aus, in der Art, wie sie sich dem Bildgeschehen widmet. Sie nimmt es nur flüchtig mit den Sinnen  auf, lässt den Bildraum sich nicht in seiner Reichhaltigkeit ausgestalten, kann sich nicht darauf beziehen. Es drängt sie, das Geschehen mehr intellektuell zu verstehen, als zu erleben.

Ihr Bedürfnis nach der Containerfunktion drückt sich in ihrem Bild als das umschützende Haus aus.  Die Vertiefung und das zunehmende Vertrauen in die intersubjektive Beziehungserfahrung, sowohl innerhalb der aktiven Imagination als auch im analytischen Beziehungsraum, lassen ihren Drang abklingen, ein erneutes Verlustvakuum präventiv zu füllen.

 

Anders als beim vorangegangenen  Beispiel dauert die Entfaltung des Anfangsbildes meist eine gewisse Zeit. Dies gibt mir die Möglichkeit, mein eigenes Bild auftauchen zu lassen. Mit der steten Übung über die Jahre habe ich bei mir beobachtet, dass sich die Fähigkeit zur unbewussten Kommunikation verfeinert.

So bekommt mein Bild eine andere Qualität bei Menschen, die tendieren ihre Gefühle auszugrenzen. Es ist dann nicht nur ein einzelnes Bild, sondern es wird farbig und prozesshaft mit einer möglichen Entwicklung. Darin drückt sich ein kontrotransferaler Aspekt  aus.

Nachdem ich mein Bild mir eingeprägt habe, lege ich es sozusagen „weg“. Es     ist mir wichtig, keinen Einfluss auf den Prozess der Bildentstehung  bei dem Imaginierenden zu nehmen, ihn nicht zu konditionieren.

Jetzt versuche ich über die verbale Beschreibung das Imaginationsbild vor meinem „inneren Auge“ zu sehen. Falls das Bild nicht den Kriterien entspricht, die für uns für die Für-Wahrnehmung der äußeren Realität gelten, wie z.B. Dreidimensionalität,  Licht- und Schattenwürfe, Farbdifferenzierungen ecc., so stelle ich diesbezügliche Fragen und führe damit die Aufmerksamkeit der Wahrnehmung dahin. Diese Fragen stellen sich fast immer für den Imaginierenden als stimulierend heraus, denn sie weisen auf das Ausgeblendete, das ins Dunkel verdrängte hin.

Das Anfangsbild der Imagination ist vielleicht mit der ersten Traumphase vergleichbar, welche  eine Prämisse oder  szenischen Rahmen darstellt, innerhalb dessen sich die Konfliktspannung, die zur Lösung drängt, zeigen wird.  In der aktiven Imagination ist die Ausgangssituation sowohl aus dem Inhalt und aus der Struktur des Bildes zu erkennen.

Ein therapeutisch wichtiges Kriterium im Imaginationsprozess  ist das Verhalten des Ich. Um den Zugang zu dem Verhalten des Ich zu erlangen, versuche ich mich der Beschreibung folgend in die räumliche Positionierung des Imaginierenden in seiner inneren Realität zu versetzen. Stimmt seine Positionierung nicht mit dem von ihm beschriebenen Blickwinkel überein, so scheint der Imaginierende nicht wirklich in seinem Körper zu sein. Er scheint sich selbst von außen zu sehen. Dies könnte aber auch ein Hinweis sein, dass die Proportionen verändert sind, weil der Imaginierende jetzt .B. ein Kleinkind ist. Entstehen für mich derlei Fragen, so stelle ich sie dem Imaginierenden, um ihn zu unterstützen, sein körperliches Bewusstsein zu erweitern.

Sieht der Imaginierende sich selbst von außen im Imaginationsbild, so weist dies auf psychische Distanznahme hin, die eine wirkliche Auseinandersetzung nicht zulässt. Dies ist für mich ein diagnostisches Kriterium.

Gedanken über die diagnostischen Kriterien tauchen in dieser Phase auf. Zu diesen Überlegungen tragen der Bildinhalt und die Struktur des Bildes bei, d.h. wo und wie das Gegenwärtige zeitlich und auch räumlich angesiedelt ist, so auch das Ich mit seinem Körper. Um die derzeitigen Bewusstseinkräfte des Imaginierenden diagnostisch einschätzen zu können, versuche ich mein eigenes Verhalten in seiner Situation imaginativ zu erproben, wie ich mich im Vergleich zum Imaginierenden an seiner Stelle verhalten würde. P. Casement nennt diesen Aspekt der therapeutischen Begleitung „Probe-Identifikation“.

Das Anfangsbild einer aktiven Imagination möge als Beispiel dienen:

Ein Künstler, Mitte dreißig, leidet an der Hemmung seiner schöpferischen Kreativität. Sein Anfangsbild: In einem trüb beleuchten Wohnflur sieht er sich im Spiegel. Er erblickt sich als fünfjähriges Kind, welches gleichzeitig ein kleiner alter Mann ist. Der Imaginierende ist von seinem Spiegelbild beeindruckt und während er es intensiver wahrnimmt, fühlt er sich emotional tief berührt. Er spricht jetzt davon, wie viel Verantwortung er schon als 5Jähriger übernehmen musste. Nach einer Weile sagt er „…und das hat nie aufgehört!“

Versuchen wir das Anfangsbild in seinen diagnostischen  Hinweisen zu erkennen, so zeigt sich zunächst der Raum der Behausung als trüb, wenig Licht und Schatten-Differenzierung, keine klaren Farben. Der Mann befindet sich im Eingangs-Ausgangsbereich, in dem ein wohnliches Ruhen nicht stattfindet. An dieser Stelle dient der Blick in den Spiegel  meist dazu,  kurz zu kontrollieren mit welchem Aussehen wir aus dem Haus gehen, uns der Mitwelt zeigen, welches Bild wir von uns geben werden.

Hier zeigt die Spiegelung eher die innengewandte Reflexionsbereitschaft des Imaginierenden. Das Spiegelbild stellt eine Verschmelzung des Knaben und des Alten, des archetypischen puer-senex Paares dar. Durch die Verschmelzung ist kein dynamisches Spannungsfeld möglich, die eine Voraussetzung für das kreative Schaffen ist. Er kann vermutlich sein inneres Kind sich nicht spielend entfalten lassen, denn es ist von seinem Senex-Aspekt unterdrückt. Als Erwachsener hat er die stabilisierenden Senex-Fähigkeiten ungenügend  zur Verfügung, da sie klein geblieben sind, wie ein 5 jähriges Kind.

Das tiefe Gefühl, welches vom Unbewussten über das Imaginationsbild angeregt wurde, kann nun emotional erlebt werden. Es ist seine emotionale Betroffenheit, die nun den Prozess in Bewegung bringt.

Einerseits fließen Erinnerungen, (die mit dem symbolisch dargestellten Bild des puer-senex Spiegelbildes ein neues Verständnis erlangen),  anderseits bewegt sich der Mann im Bild. Er geht die Treppe herunter ins Freie. Strukturell begibt er sich damit auf die Ebene des Erdbodens und befreit sich aus den familiär determinierten Wänden. Im Hof dann rührt ihn ein  kleiner Junge an, der ganz  verloren herumsteht. Er beginnt ihn kennen zu lernen, bis er ihn schützend auf den Arm nimmt.

Indem der Imaginierende sich selbst den Reflexionsraum gibt, seinen Emotionen Raum gibt und sich inhaltlich ins Freie bewegt, ist vermutlich auch die Trennung zwischen Kind und Mann möglich. Die vorher beschriebene raumgebende therapeutische Begleitung der aktiven Imagination, könnte einen therapeutisch wirksamen Einfluss auf den Imaginierenden haben. Dadurch wird vielleicht der Imaginierende im Umgang mit der eigenen inneren Realität raumgebend  sein.

 

Doch nicht immer ist die Bewegung möglich. Dann liegt eine Störung des flexibel-dynamischen Gleichgewichts zwischen Bewusstsein und Unbewusstem vor. Wird eine Seite des Gegensatzpaares zu „mächtig“  oder stellt sich eine übermäßige Stagnation zwischen den Spannungspolen ein, so lasse ich mir ein eigenes Bild kommen, um die widerständigen Affekte in einer symbolischen Bildform erkennen zu können.

Ich möchte noch ein Beispiel dafür bringen:

In der preimaginativen Phase, lasse ich mein Bild entstehen. Es ist ein rundes, kugelartiges Gebilde, welches durch eine horizontale Linie getrennt ist. Diese Linie verläuft weiter rechts in eine Art Ast mit Knospen. Ich präge mir dieses Bild ein und „lege es auf die Seite.“

Die Imaginierende befindet sich dann neben einem  Bauern sitzend, den sie aus vorhergehenden Imaginationen kennt. Aus dem Bedürfnis nach Nähe und Berührung heraus versucht sie sich an den Bauern anzulehnen. Ich versuche ihre Bewegung imaginativ “identifikatorisch“ nachzuvollziehen. Auffällig ist, dass sie in den Momenten, in denen Berührung und Nähe möglich werden, in denen sie Wärme und Geborgenheit spüren könnte, „das Bild weggeht“, wie sie es sagt. Damit überspringt sie ihren Konflikt, den Konflikt, zwischen dem Bedürfnis nach Nähe, Hingabe, Vertrauen  und der Angst vor Überwältigung oder „in die Leere fallen“. Ein Stückchen weiter setzt sie die Imagination fort.

In solchen Momenten hilft mir die so genannte „innere Supervision“.  Damit versuche ich herauszufinden, welche Wirkung meine intuitiv-angedachte Intervention auf die Imaginierende haben könnte und ob darin Kontrotransferales enthalten ist  oder  subjektive Einflüsse  hineinspielen. Die Imaginierende kennt diese Konfliktsituation und hat einen Namen dafür, „das Bild geht weg“. Um der Angst vor Überwältigung oder „ins Leere fallen“ die geballte Bedrohung zu nehmen, bitte ich sie nun, in feinst-detaillierten Schritten mit großer Aufmerksamkeit für ihre Gefühle, die letzten Bewegungen noch einmal zu vollziehen. Die Imaginierende versucht nun das geringe Maß  an Nähe zu dem Bauern zuzulassen, bei dem sie in ihrem Körperbewusstsein und ihrer Gefühlswahrnehmung bleiben kann.

Dieses Beispiel habe ich angeführt, um im Vergleich zu dem folgenden Beispiel, den Unterschied meiner eigenen Bilder  zu verdeutlichen. Deshalb möchte ich hier nicht vertieft aus die klinische Situation der fünfzigjährigen Imaginierenden eingehen. Vielleicht sollte ich aber doch auf die Psychodynamik kurz eingehen, die sich in den Momenten zeigt, in denen ihr „Bild weggeht“, d.h. sie den Kontakt zum Unbewussten nicht aufrechterhalten kann. In diesen Momenten spürt die Imaginierende ein Gefühl von Geborgenheit. Um das Verständnis zu ermöglichen, werde ich spezifische Aspekte ihrer Biographie erwähnen.

Diese Frau ist eines der ersten von zahlreichen Geschwistern, die in schneller Abfolge geboren wurden. Zu ihrer vermutlich depressiven Mutter hat sie nicht die Kontinuität einer vertrauensvollen Nähe aufbauen können. Auch der Vater kann ihr keine stabile Beziehung anbieten. Nach der Geburt des letzten  Kindes lässt er sich scheiden. Vielleicht nutzt die Imaginierende die Definition „das Bild geht weg“, die ihre Art des Abbruchs zum Unbewussten ausdrückt, um eine Formulierung für ihr frühkindliches Erleben zu finden. Immer wieder hat sie in dieser Lebensphase erlebt, dass aufkommende Nähe abgebrochen wird, die Beziehungsperson „geht weg“.

In der Psychodynamik ihrer Definition „das Bild geht weg“ scheint sie die frühkindliche, relativ unbewusste Erfahrungsmodalität und ihr psychisches Affekt-Abwehrverhalten zu verschmelzen. So wehrt sie den Dialog mit dem Unbewussten ab und wehrt die Affekte ab, die für sie mit ihren Erfahrungen von Nähe verbunden sind. Ein Abwehrverhalten, welches sie in der Folge zunehmend aufbaute, um sich vor den wiederholten Verlusterfahrungen zu schützen. Ihre Erfahrungen von Nähe verknüpfen das kindliche Bedürfnis nach vertrauensvollem Gehalten und Gespiegeltsein und die schmerzhaften Abbruchsenttäuschungen.

Im Laufe ihrer späteren aktiven Imaginationen werden diese beiden Aspekte jeweils getrennt weiterentwickelt. So gibt es Imaginationen, in denen sie das Vertrauen in das Gehaltenwerden langsam aufbaut. Gleichzeitig baut sich ihr Glauben in eine göttliche Führung auf. Dann gibt es wieder Imaginationen – und den Rhythmus betrachtend habe ich öfters an Jungs Spirale der Trauminhalte gedacht -, in denen sie Zugang zu den Affektreaktionen auf die wiederholten tiefen Enttäuschungen des Verlassenwerdens findet. Dann weint sie schmerzhaft oder befreit sich von bisher verborgenen eindringlichen  Schreien.

Die Sitzung, die der Begegnung mit dem Bauern folgt, zeigt sich die Aufspaltung, die die heftige Affektabwehr darstellt in ihrem Imaginationsbild, die ich in meinem eigenen Bild zuvor gesehen hatte. Für die Imaginierende ist diese Abwehr nun bildlich erlebbar. Sie beschreibt es so: „ Ich bin wie abgespalten…mal bin ich wie in einem Kokon unter der Erde…und dann liege ich mit dem Gesicht nach unten auf dem Erdboden.“ Es vergeht eine Zeit in der die Spannung zunimmt. „Ich haue mit den Fäusten auf die Erde….aber ich spüre keinen Schmerz dabei.“

Es tritt ein von mir als lang empfundenes Schweigen ein. Es ist ein beengendes Schweigen der Verzweiflung.

In mir tauchen Zweifel auf, die zum Teil kontrotransferalen Ursprungs sind,   ob sie die psychische Kraft hat, die schmerzvolle Spannung  umzusetzen, deshalb lasse ich mir ein Bild kommen. Es ist ein dünnes fast artifiziell wirkendes Baumstammstück. Doch auch dieses Bild beginnt sich prozesshaft zu verändern. Der Baumstamm quillt an, bekommt Körper und Struktur, während um ihn herum eine Schicht dichter schwarzer Pünktchen aufsteigt.  Ich kann es nicht leugnen, dass mein Bild mich das Schweigen besser ertragen lässt. Doch ich versuche, mich wiederum davon frei zu machen. Denn ich möchte die Imaginierende nicht zu einer Entwicklung eines „falschen“ Selbst beeinflussen.

Es dauert noch geraume Zeit bis die Imaginierende die abwehrende Spannung  lösen  und ihre abgespaltene Traurigkeit auftauchen lassen kann. Sie weint dann viel, die Imagination ist für heute abgeschlossen.

 

Wann der Moment gekommen ist, eine aktive Imagination in einer Sitzung abzuschließen, das erfahren meist Beide, der Imaginierende und der Analytiker als in sich stimmig.

Im Verlauf des Prozesses hat sich die oppositionelle Gegensatzspannung verringert. Die Beziehung zwischen dem Bewusstsein und den im Bild dargestellten Inhalten des Unbewussten hat sich belebt, vertieft, angenähert. Darin zeigt sich, dass sich zum Ende des Imaginationsprozesses Veränderungen eingestellt haben. Und diese sind im Imaginationsbild  erkennbar. Sie zeigen sich sowohl struktural als inhaltlich. Strukturveränderungen  zeigen sich z.B. darin, dass Hindernisse überwunden werden und sich der Raum weitet, als bildhafter Ausdruck dafür, dass die psychische Abwehr nachlässt und sich der mitopoietische Aspekt des Symbols als Perspektive öffnet. Die strukturale Veränderung zeigt sich auch in der reduzierten Beziehungsdistanz. Die Distanz der imaginierten Dinge und Personen untereinander und auch im Bezug zum Ich ist verringert, als bildhafter Ausdruck für die Annäherung an das Bewusstsein. Die Intensivierung der Beziehung unterscheidet sich von  der Bewusstseinsannäherung durch  verlagern der Erlebnisebene auf ein dem Menschen vertrautes Niveau. Gehen wir von einem vertikalen Strukturschichtungskonzept aus, so verändert der Imaginierende seine Bewusstseinsfähigkeit, wenn er aus anfänglichem  Aufenthalt in der Meerestiefe nun sich auf dem Erdboden bewegt, und somit seine aktive Imagination auf einer der äußeren Realität entsprechenden Lebensebene abschließt. Aus diesen Beispielen ist ersichtlich, dass die strukturalen Elemente nicht ohne die inhaltlichen verständlich werden.

Inhaltliche Veränderungen drücken sich in der Abschlussphase des Imaginationsprozesses meist darin aus, dass das Gegenüber sein Erscheinungsbild und seine Charakteristika gewandelt hat.  Das Gesamtbild wirkt atmosphärisch meist entspannter und angenehmer, denn die zunächst vielleicht bedrohlich oder erschreckend wirkenden Figuren werden kollaborativ und für das Ich freundschaftlich führende Begleiter. Die zunehmende Nähe zu diesen Figuren, die für die personifizierten Persönlichkeitsanteile stehen, entspricht der progressiven Integration des unbewusst Projizierten.

Löst sich die Spannung im Imaginationsgeschehen, so weitet sich auch der Raum für den emotionalen Fluss. Vermutlich begünstigt die physische Präsenz in der aktiven Imagination, die Emotion ganzheitlich zu erleben, ist sie doch ihrer Natur nach psychosomatisch. (wir wissen wie Affekte, die psychisch abgespalten wurden, zu Somatisierungen führen können.) Die Emotion ganzheitlich zu erleben führt uns hin zur „Geist-Seele-Körper“ –Integration. Die aktive Imagination unterstützt diese, da der Affekt in dem Bild des Unbewussten dargestellt ist und nur über den Bildgehalt auch erlebbar wird.

Im Verlauf des Prozesses hat der Imaginierende strukturelle, inhaltliche und emotionale Veränderungen erlangt, er hat seine Aufgabe zu einer Lösung geführt. Damit vermittelt sich für Beide, den Imaginierenden und den Analytiker, das Gefühl, eine Gestalt habe sich geschlossen, sei abgerundet. Der Appellcharakter, den die nicht differenziert abgegrenzte Form zuvor innehatte, ist verschwunden.

Ein Beispiel möchte ich noch ergänzen, in dem, meiner Beurteilung nach, die Imaginierende tendierte, die Imagination vorzeitig abzubrechen.

Die folgende aktive Imagination einer dreißigjährigen Frau ist aus einer langen Imaginationsserie. Als sie ihre Analyse begann, fragte ich sie, was sie derzeit mit unserer Arbeit erreichen möchte. Sie hielt inne und sagte dann: “Dazu  habe ich ein Bild einer Klaviertastatur, viele schwarze und weiße Tasten, die sich rhythmisch abwechseln“(….schwarze und weiße Tasten, die verschiedene Töne zur Musik erklingen lassen können, denke ich). Sie dagegen fühle sich, wie ein runder dunkler Stein unter Wasser, wobei nur ihr Rücken über den Wasserspiegel hervortaucht. Vieles wäre zu ihrem (Selbst-) Bild zu sagen. Hier möchte ich nur hervorheben : die depressive Schwere; das materialisierte, steinern verhärtete (Komplex-) Konglomerat, das weitgehendst eingetaucht ist in die Sphäre des Unbewussten, dem steht deutlich die Differenzierung und Ausdrucksfähigkeit im Bild der Klaviertastatur entgegen.

Ihre Kindheitserinnerungen umkreisen Szenen, in denen sie als jüngstes Kind nur ungenügend den Raum fand, sich  sicher und beschützt spielerisch zu erproben und  vor allem auszudrücken. Sie fühlte sich gestört,  fühlte den Ausdruck im Spiel übergangen, entwertet und damit zerstört. Unfähig sich als Kind zu wehren und ohne stützenden Rückhalt, nimmt sie die Entwertung an und erlebt sich als ungenügend, als dumm, als körperlich unförmig. Psychodynamisch versucht sie vermutlich so das Gefühl der Dazugehörigkeit, der Bindung aufrecht zu erhalten, trotz der Beziehungsenttäuschung.

Fortan gibt sie ihrem Spiel nur noch in den Phantasien, in ihrem Inneren, Raum. (Vermutlich resultiert daraus auch ihre flüssige Imaginationsfähigkeit.) Ein Traum zeigt dies: Als Mädchen hat sie ihre Spielzeuge an Fäden angebunden verschluckt, damit sie ihr niemand nehmen könnte.  Und wenn auch ihr Magen schmerzt, weil sie Unverdauliches, sowohl die psychische Situation als auch die Objekte, zu sich nahm, schien ihr dies die einzige Lösung.

Zu Beginn unserer Arbeit und noch für geraume Zeit, war ich berührt von ihrem flüchtig scheuen Blickkontakt, ihren leisen Bewegungen und „sah“ in ihr das Mädchen. Nunmehr zeigt sie sich als Frau. Sie hat ihren Beruf gewechselt. Sie ist Malerin geworden und scheint in ihren großformatigen Bildern ihren Ausdruck und auch Anerkennung zu finden. Sie lebt in einer Partnerbeziehung, die liebevoll und gegenseitig bereichernd scheint.

 

In diesem Beispiel der aktiven Imagination, die ich zum Abschluss meiner Ausführungen bringen möchte, tendierte die Imaginierende wie auch verschiedene Male zuvor, die Imagination in einem Moment zu beenden, in dem ich in ihrer Begleitung noch die Prozessspannung verspürte.

Während sie imaginiert geschieht es fast nie, dass ich fragend interveniere. Ihr Imaginationsprozess ist charakterisiert von dynamischem Fluss und lebendigem und tiefem körperlichen und emotionalem Erleben.

Das Imaginationsbeispiel:

die Imaginierende verspürt die Notwendigkeit, eine Treppe in den Keller herunter steigen zu müssen. Sie folgt ihr und gelangt sehr tief hinab. Im Dunkel geht sie durch Kellergänge, an leeren geöffneten Kellerräumen vorbei. Doch aus einem Raum spürt sie physisch  eine Gegenwart. Zögerlich und ängstlich nähert sie sich. In der Ecke erkennt sie schwach eine junge Frau mit ausgehungertem blassen Gesicht, in Lumpen gehüllt. Die Annäherung ist ihr möglich, da diese Frau hilfsbedürftig ist. Hinter sich herziehend führt sie sie die Ausgangstreppe hinauf. Als sie sich im ersten Tageslicht umwendet, erkennt sie in ihr intuitiv einen von ihr nie gelebten Aspekt der Weiblichkeit. Sie erschrickt und lässt die Hand der Frau los.  Sie lässt die Frau die letzten Stufen allein gehen. Sie selbst aber bleibt zurück, tritt nicht hinaus. – In diesem Moment öffnet sie die Augen, schaut mich an,  ihr Zeichen, dass sie die Imagination beendet hat. –Ich zögere, vergegenwärtige mir vorhergehende Situationen und frage sie, ob sie die Imagination nicht fortsetzen möchte.  Sie folgt meiner Anregung. Es gelingt ihr, der Frau zu folgen. Sie setzen sich nebeneinander auf eine Bank. Die Imaginierende nimmt im Tageslicht die Frau wahr. Sie spürt nun deutlich die weibliche Ausstrahlung der Anderen, ist davon emotional deutlich bewegt. Sie beendet nun die Imagination und auch ich spüre, dass sich die Spannung gelöst hat und die Imaginierende die Imagination nicht mit dem Gefühl des Erschreckens und Entfernens beendet hat und nicht an einem Ort verharrt der zwischen Kellerdunkel und Tageslicht, noch auf einer Treppe liegt.

 

Warum habe ich diese Imagination fortsetzen lassen? Diese Patientin zögerte  ihr Inneres in den Dialog, in die zwischenmenschliche Beziehung einzubringen. Es gibt eine Schwelle, wie  ein Schamaffekt, der sich als Grenzwächter zwischen Innen und Außen zu stellen scheint. Als fürchte die Patientin bloßgestellt zu werden, meidet sie im Bild das klare Licht des Tages. Mit dem Blick, den sie mir zuwarf, forderte sie mein Hinzutreten auf als Repräsentant eines beobachtenden Bewusstseinsaspektes. So von ihr einbezogen, aktiviert sie die Triangulierung des analytischen Raumes. Die Drei, die als Zahl ein Richtungselement in sich trägt. Dadurch fühle ich mich veranlasst, der Imaginierenden anzuregen,  die Imagination fortzuführen. In ihrer inneren Realität  nutzt sie dann die Möglichkeit, die Erfahrung zu machen, dass die Schwelle zum Außen überwindbar ist.

Die Imaginierende hat damit das Erlebte in eine Form gebracht, eine Gestalt geschlossen. Und diese Form bewahrt in sich ihre Erfahrung, eine Erfahrung, die sie in die tägliche Realität mitnehmen kann, mit„hinüber“ nehmen kann.

 

 

 

 

 

 

 

 

Bibliographie

 

 

Ammann, A.M., „Aktive Imagination, Darstellung einer Methode“ (1978) Olten,    Walter Verlag

 

Casement, Patrik,  „Learning from the patient“, (1985) Tavistock Publications

 

Hillman, James, „Healing fiction“(1993) Station Hill Press

 

Jung, C.G.,  „Die Technik der Unterscheidung zwischen dem Ich und den                           Figuren des Unbewussten“ (1928) in „Die Beziehungen zwischen dem Ich und dem Unbewussten“. GW VII, Olten, Walter Verlag 1971

 

– „Die transzendente Funktion“ (1957) GW VIII

 

– „Der philosophische Baum“  GW XIII

 

– „Briefe an Mister O.„ 1947

 

 

Maass, Hermann, „Wach-Träume, Selbstheilung durch das Unbewusste“ (1989) Olten, Walter Verlag

 

Odgen, Thomas, „Analytische Träumerei und Deutung“ (2001)Wien, New York, Springer Verlag

 

Wilke, E. + Leuner, H. Hrsg., „Das kathathyme Bildererleben in der psychosomatischen Medizin“ (1990) Bern, Hans Huber Verlag

 

 

 

 

 

Zusammenfassung

 

Es werden unterstützt von einzelnen klinischen Beispielen  Kriterien der therapeutischen Begleitung der Aktiven Imagination innerhalb der Analysesitzungen beschrieben.

Da  Aspekte des Unbewußten in der Aktiven Imagination als Bilder auftauchen,  wird  es möglich damit in den Dialog zu treten, welcher von therapeutischer Seite unterstützt wird. Die Imaginationsbilder lösen  dazugehörige Gefühle aus, sodass sich aus einer intrapsychischen Konfliktspannung  eine Art intersubjektives Beziehungsgeschehen zwischen dem Bewusstsein und Unbewußtem entwickeln kann.

Diese Intersubjektivität umfasst gleichzeitig die analytische Beziehung, welche den dynamischen Prozess des Imaginationsgeschehens unterstützen kann.